Himmel der Tiere - Geschichten - Treuepfoten

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Jenny1990

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Dienstag, 8. Januar 2008, 11:26

Himmel der Tiere

Himmel der Tiere


Meine Menschen vermissen mich und denken jeden Tag an mich.
Woher weißt du das?
Ich weiß es und ich fühle es. Ich kenne sie ja gut. Sie haben so wunderbar für mich gesorgt, sie vergessen mich nicht. Ach, sie fehlen mir so sehr. Ich wollte sie nicht verlassen, doch es ging nicht anders.
Ich wollte mein Frauchen auch nicht verlassen. Sie hat die ganze Zeit gedacht, oh was mache ich nur mit meiner armen Maus. Sie hat mich oft Maus genannt, obwohl ich eine Hundedame bin, ich habe sogar Pudelgene in mir. Ich weiß, sie hat es aus Liebe gesagt. Sie hat sich immer Sorgen um mich gemacht.
Oh ja, meine Menschen haben auch immer gesagt, was machen wir nur mit unserem armen Karlchen, er ist so dünn geworden. Das hat mir so weh getan, wenn ich merkte, wie sehr sie sich um mich sorgten.

Ja, mein Frauchen hat ihren Freunden und Kindern von mir erzählt. Ich habe oft gehört, wie sie am Telefon über mich gesprochen hat.

Ja, meine Menschen haben das auch getan. Sie haben mich so gut verstanden. Ich durfte sogar umziehen in ihrer Wohnung.

Mein Frauchen hat eine Freundin, die hat jedesmal wenn sie telefonierten gesagt, sie soll mich von ihr ganz lieb streicheln. Wenn sie mit dem Telefonieren fertig war, ist sie gekommen und hat mir erzählt, ich soll dich ganz lieb streicheln von Kristine. Ich kenne sie sogar. Sie hat mir oft so schöne Knabberstangen mitgebracht, wenn sie mein Frauchen besucht hat. Und Schachteln mit leckeren Fleischmahlzeiten.

Ach, weißt du was, so heißt meine liebe Menschenmama, die Tag und Nacht an mich gedacht hat. Und ihr Mann, er hielt mich immer so wunderbar in seinem Arm. Sie nennt ihn Bärchen. Ich liebte seinen blauen weichen Pullover, da konnte ich stundenlang liegen und schnurren.

Mein Frauchen hatte auch einen Mann. Der hat immer so lustige Spiele mit mir gespielt, als er noch gesund war. Er hat immer einen Tennisball geworfen und ich habe ihn geholt. Ich kann ganz toll köpfen, mit Luftballons, und sogar mit dem kleinen Tennisball. Frauchen hat immer gesagt, wenn Terry eine Ausbildung hätte, wäre sie der perfekte Zirkushund. Davon habe ich immer geträumt.

Warum sagst du, sie hatte einen Mann?

Er ist gestorben, letzten Sommer. Er war so krank, er konnte nicht mehr allein gehen, nur im Rollstuhl fahren und auch darin sitzen. Später wollte er nicht mehr aus seinem Bett aufstehen. Es hat mich so geschmerzt, ihn in diesem Zustand zu sehen. Da fing es an, daß mein Herz immer so schnell schlug. Stell dir vor, als Frauchen mit mir bei der Tierärztin war, hat sie gesagt: das Herz donnert. Das musst du dir mal vorstellen. Es donnert, hat sie gesagt.

Ich war so oft beim Tierarzt mit meinen Menschen. Der hat mich immer so nett angeschaut und dann gesagt: Wir geben ihm eine Spritze. Das gibt ihm wieder mehr Kraft. Ich hatte gar keine Kraft mehr. Ich konnte nicht springen und spielen. Es war so schrecklich. Ich konnte nicht mehr in der Wohnung herumstreichen, wie ich es gewohnt war. Mein Herrchen hat außerdem vor einiger Zeit eine Treppe gebaut. Die führt vom Wohnzimmer in ein neues Zimmer. Das wollten die beiden so. Wenn ich die Treppe hoch geklettert bin, hatte ich da oben so viel Platz für mich. Mein Frauchen hat das ganze Zimmer mit Katzen dekoriert, kleine, große, in allen Farben, aus Holz, aus Keramik, aus Metall, sogar aus Halbedelsteinen. Das sieht so wundervoll aus. Bald wollte ich nicht mehr fort von diesem schönen Zimmer. Ich wünschte, ich dürfte es noch mal besuchen. Im Traum tue ich es manchmal.

Ich mochte am liebsten an den Füßen von meinem Frauchen liegen. Ganz dicht dran. Das habe ich gemacht, wenn sie abends auf ihrem Sofa saß. Am liebsten mochte ich am Fußende in ihrem Bett liegen. Stell dir vor, ich konnte auf einmal nicht mehr hochspringen. Ich mußte mich hochziehen, das war so anstrengend. Und wenn ich dann wieder runtergesprungen bin, das war leichter, hatte ich keine Kraft, wieder hochzuklettern. Dann habe ich mich auf meine Decke gelegt und mich ganz klein zusammengerollt. Ach, ich vermisse sie so sehr und sie mich.

Ich vermisse sie auch beide so doll, niemand kann sein wie sie.

Wie heißt denn ihr Mann?

Er heißt Hans-Peter.

Und wie heißt du?

Ich heiße Karlchen.

Ja, das ist doch unglaublich. Ich habe schon so viel von dir gehört, wenn mein Frauchen mit deiner Menschenmama telefonierte. Sie hat oft deinen Namen gesagt, Karlchen.

Ja, bist du denn die Terry?

Ja, die bin ich.

Karlchen steht auf, geht langsam und Terry herum, im Kreis und betrachtet sie.

Nun sehe ich dich endlich mal, auch meine Menschenmama hat oft deinen Namen gesagt, wenn sie mit ihrer Freundin telefonierte. Die beiden haben oft auch "Hamburg" gesagt, das kennen sie.

Ja, Hamburg ist eine Stadt. Mein Frauchen und ihr Mann haben auch oft dieses Wort gesagt. Und auch Lagos. Da haben sie früher gewohnt. Und wie findest du mich?

Oh, sehr schön, du hast sogar Locken am Rücken.

Ja, das ist weil ich Pudelgene habe. Mir gefallen deine Pfoten so gut. Als ob du Schühchen trägst.

Ja, ich pflege diese weißen Pfoten immer. Sie sollen glänzen. Meine Menschen und auch ihr Besuch haben oft gesagt, oh, diese niedlichen weißen Pfoten.

Und dünn bist du nicht mehr.

Nein, ich habe auch wieder Kraft.

Ja, mein Herz donnert auch nicht mehr, ich kann auch wieder springen. Wenn mein Frauchen träumt, dann ziehe ich durch die Bilder, damit sie mich sehen soll. Sie sieht mich auch, ich habe gehört, wie sie zu Maya gesagt hat, Terry zieht durch meine Träume. Das hat mich so glücklich gemacht, da hat mein Herz doch wieder ein bisschen gedonnert.

Ach, bestimmt nicht so sehr, nur vor Freude geklopft.

Ja, das stimmt. Es fühlt sich ein bisschen anders an.

Wie fühlst du dich denn wenn deine Menschen weinen?

Ich bin auch traurig. Doch wenn sie weinen, erlebe ich, daß es meine Schmerzen streichelt. Als ob sie mit den Tränen verschmelzen und meinen Körper langsam verlassen.

Ja, so ist es auch bei mir. Ich wünsche so sehr, daß meine Menschen auch so empfinden. Ich möchte nicht, dass sie traurig sind. Ich hoffe, sie wissen, daß ich mich besser fühle als vorher. Ich habe trotzdem Sehnsucht nach ihnen. Sie sind so klug. Sie lesen soviel. Dein Frauchen hat meiner Menschenmama ein Gedicht geschickt. Das hat sie laut ihrem Bärchen vorgelesen. Dann haben sie beide geweint. Ich mußte auch weinen, als ich sie so sah. Doch dann war es auch so, daß ich eine Empfindung hatte, als ob die Schmerzen gestreichelt wurden von den Tränen und sich langsam auflösten. Kennst du das Gedicht?

Ja klar, mein Frauchen hat es so oft in der Hand gehalten, laut gelesen. Weil doch ihr geliebter Bayo von ihr gegangen ist. Sie hat es neben ihrem Bett liegen. Und sie hat auch vielen davon erzählt, weil sie es so wunderbar findet. Sag bloß du erinnerst dich daran.

Ja, natürlich, wir Katzen haben ein phänomenales Gedächtnis. Das haben auch immer meine Menschen gesagt. Sie haben gesagt: Karlchen ist so klug, er weiß alles. Alles.

Mein Herrchen hat auch immer zu Frauchen gesagt: Denk bloß nicht, sie weiß nicht, was sie tut. Sie weiß es genau. Sie ist nämlich schlauer, als du denkst. Mein Herrchen war sehr intelligent, er wußte genau, was ich denke. Ich konnte ihm gar nichts vormachen.

Möchtest du das Gedicht jetzt hören?

Ja, gerne, ich könnte sogar auch mitsprechen. Bitte sag' du es mir auf, das wäre schön.
Ich weiß sogar, ein kluger Mensch aus dem Land Vietnam hat es geschrieben. Also gut, dann höre jetzt zu.

Karlchen blickt um sich und sieht, um ihn und Terry herum haben sich viele Tiere versammelt. Sie haben es gar nicht gemerkt, so vertieft sind sie in ihrem Gespräch gewesen. Die leuchtend grüne Wiese mit all den Gänseblümchen, Wiesenschaumkraut, Himmelsschlüssel, Sumpfdotterblumen ist voll von Hunden, Katzen, Kühen, Pferden, Schweinen, Ziegen, Schafen, Hamster, Mäusen, Ratten, Meerschweinchen. So weit die Augen reichen. Über ihnen leuchtet ein vielfarbiger Regenbogen.

Die Tiere rufen: Karlchen, laß uns hören. Zwei Pferde rollen mit ihren Hufen einen Baumstamm herbei. Stell dich darauf, bitten sie, dann können alle dich besser hören.

Karlchen nickt Terry zu. Sie sitzt erwartungsvoll auf ihren Hinterpfoten und lächelt ihm zu.

Er schreitet auf den Baumstamm zu, langsam und würdevoll, er leuchtet von innen, sein Fell glänzt, seinen Schwanz trägt er hoch, die weißen Pfoten teilen das schimmernde Gras. Er hüpft auf den Stamm und beginnt:

Dieses Gedicht heißt: Einssein.



Einssein

Im Augenblick, in dem ich sterbe,
will ich versuchen, zu dir
so schnell ich kann zurückzukehren.
Ich verspreche, es dauert nicht lang.
Stimmt es nicht,
dass ich bereits jetzt bei dir bin,
da ich jeden Augenblick sterbe?
Jeden Moment kehre ich zu dir zurück.
Schau nur hin
und fühle meine Anwesenheit.
Wenn du weinen möchtest,
so weine nur.
Und du sollst wissen,
ich weine mit dir.
Die Tränen, die du vergießt,
werden uns beide heilen.
Deine Tränen sind auch meine.
Die Erde, auf der ich heute morgen gehe,
transzendiert die Geschichte.
Frühling und Winter sind beide da in diesem Augenblick.
Das junge und das abgestorbene Blatt sind wirklich eins.
Meine Füße berühren Todlosigkeit,
und meine Füße gehören dir.
Geht jetzt mit mir.
Laß uns eintreten in die Dimension des Einsseins
und den Kirschenbaum im Winter blühen sehen.
Warum sollten wir über den Tod sprechen?
Ich brauche nicht zu sterben,
um wieder mit dir zusammenzusein.



Karlchen verneigt sich und wartet dann ein wenig.

Terry reibt sich die Augen mit ihrer linken Pfote.

Die anderen Tiere stehen alle auf und Tränen fließen aus ihren Augen. Sie sind zu einem fließenden Wasserstrom geworden. Er fließt dem Fluß entgegen, der nicht weit von der Wiese entfernt ist. Wie ein Wind klingen die klagenden Laute aller Tiere im All. Doch langsam verändern sich die Töne. Sie werden zu einem wundervollen Gesang, dem Gesang des Universums.

Eins nach dem anderen kommen die Tiere zu Karlchen und danken ihm für diese wunderbare Vorstellung. Sie schütteln ihm die Pfoten. Terry sitzt neben ihm.

Beide lächeln.

Die Tiere ziehen davon, einige sagen: wir kommen wieder, wir möchten mehr hören von diesen wundersamen Worten.

Gerne, antwortet Karlchen, wir freuen uns auf euch.

Bald sind die beiden wieder allein.

Wie sehr wünschte ich, mein Herrchen hätte dies erlebt, sagt Terry. Weißt du, er ist ein Dichter und Musiker, ein Trommler, er liebt Aufführungen und wenn Menschen zusammenkommen. Wo könnte er nur sein?

Laß es uns herausfinden, was hältst du davon? antwortet Karlchen. Wir fragen überall, wir kennen ja noch lange nicht den ganzen Himmel. Wir werden ihn zusammen entdecken, jetzt wo wir uns gefunden haben, hast du Lust?

Zu gern, es wäre wunderbar.

Dann los, erwidert Karlchen.

Zwei leuchtende Gestalten machen sich auf den Weg. Neue Freunde sind sie. Über ihnen gaukeln Schmetterlinge, Kolibris schwirren, Vögel singen. Um alle herum klingt die Äolsharfe. Und weit aus der Ferne hören sie einen sanften Trommelklang, mal lauter, mal leiser, gleichmäßig zum Rhythmus ihrer Schritte.



Autor: © Gerwine Bayo-Martins
Solange Menschen denken, dass Tiere nicht fühlen können, müssen Tiere fühlen, weil Menschen nicht denken können.

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